Als Tänzer, der ein oder anderen Tanzrichtung, beobachte ich oft ein kurioses Phänomen: Paare kommen gemeinsam zum Tanzkurs. Manche Paare fallen dadurch auf, dass sie zwar dezent aber dann doch erkennbar streiten. Oft sind es die Frauen, die den Männern vorwerfen, weder Takt, noch Rhythmus, noch die richtige Schrittfolge zu beherrschen geschweige denn, die Frau in die richtige Position zu führen. Manche von diesen Paaren sieht man ein, zwei oder drei Mal und dann nicht mehr. – Vielleicht war manchen Männern das Genörgel der Partnerin zuviel – vielleicht konnten manche Frauen aber auch die Tanzlegasthenie ihres Partners nicht länger ertragen?!
Wenn in meinem Freundes- oder Bekanntenkreis Tanzen zum Thema wird, beobachte ich stets, wie die Augen der Frauen zu funkeln beginnen hingegen die Männer plötzlich auf taub schalten, spätestens wenn die Frage aufkommt: „Schatz, lass uns doch mal endlich zusammen Tanzkurs machen“.
Diese Beobachtung und die von den Tanzkurspaaren, die zumindest schon einen Schritt auf`s Parkett gewagt hatten, wirft bei mir immer wieder die Frage auf, warum das so ist: dass die Frauen fast durchweg tanzaffin sind und Tanzen bei den Männern (zumindest den deutschen Männern, bei denen ich das beobachtet habe) gleich hinter ihrem Interesse für rhythmische Wassergymnastik kommt.
Hier mein persönlicher Deutungsversuch:
Im familiär-beruflichen Kontext leisten viele Männer Vieles, was Ihnen Anerkennung bringt. Natürlich sind sie gerne in Bereichen aktiv, worin sie gut sind und sich einer anerkennenden Bewunderung Ihres Umfeldes sicher sein können: Grillen, Dachrinnen ausfegen, Terrassenfliesen abkärchern, Tannenbaum schlagen oder bei 40 Grad in der Sonne Tennis spielen, um nur einige zu nennen… Vielleicht definieren manche Männer ihr Selbstbewusstsein und ihre Position in ihrer Familie und gegenüber ihrer Partnerin sogar speziell durch ihr Geleistetes und Anerkanntes.
Beim Tanzen ist alles anders!
Beim Tanzen wird (oft) alles anders: Die vermeintliche Sicherheit, etwas zu können, was man mitunter besonders gut kann, als Grundlage dafür, sich gegenüber der eigene Partnerin einen (vermeintlich dominanten) Status gesichert zu haben, löst sich beim Tanzen ganz schnell auf – spätestens wenn man als Mann merkt, dass die Frauen in Taktsicherheit, Musikalität und Schrittfolge überlegen sind.
Natürlich merkt das auch die Frau und beginnt sich – zumindest bei den streitsüchtigeren Paaren – aus der sicheren Position der Tanzversierteren für viele alltägliche Respektlosigkeiten und Unaufmerksamkeiten Ihres Mannes bei diesem durch Tanzzurechtweisungen zu revanchieren.
Die Essenz
Jetzt mal die Fälle, wo die Frauen den Männern das Tanzen durch zusätzliches „Rumgenörgel“ doppelt schwer machen, außen vorgelassen: Sehr viele Männer wagen sich erst gar nicht auf den Tanzboden wovon etliche, von den wenigen, die sich dann doch trauen, schon nach den ersten Takten wieder das Handtuch werfen – wie ich meine, aus folgendem Grund:
Das Tanzen konfrontiert Männer gegenüber ihren Frauen mit einer Situation, die sie nicht direkt beherrschen, nicht direkt Anerkennung erhalten ggf. sogar Schwäche zeigen. Hierdurch gerät das im Alltag kultivierte, klassische, auf Leistung-versus-Anerkennung aufgebaute „Dominanzgefüge“ zwischen den Partnern ins Wanken und verkehrt sich. Der Mann fühlt sich schwach, verunsichert und in letzter Konsequenz tiefunterbewusst ungeliebt… – Zwei, Drei Tanzabende in dieser Gefühlslage, bei mangelnder Erfolgsaussicht, und der Mann schmeißt alles hin… Wiederholt fehlende Anerkennung inklusive sich verschiebender Dominanzverhältnisse: geht gar nicht. Da sind die Männer schon schlauer, die erst gar nicht den ersten Tanzschritt wagen und sich bei der Wassergymnastik einschreiben…
Warum diese Konsequenz?
Was die meisten Männer nicht wissen ist, sie könnten beim Tanzen so sehr punkten, wenn sie sich nur einfach aufs Tanzen konzentrieren würden ohne gleich die „Genderfrage“ zu stellen. Was viele Männer nicht wissen, sie wären sich der Liebe und Anerkennung ihrer Partnerin doppelt sicher, dann, wenn sie sich einfügen würden in den unvermeidlichen Prozess des Lernens (Tanzenlernens), zu dem nun mal auch Fehler, Schwächen und Schwerfälligkeit gehören. Diese „Liebes-Reziprozität“ empfinde ich als ein besonders weibliches Phänomen und ist wohl den meisten Männern nicht bekannt, haben sie doch von Kindheitsbeinen an gelernt, für gute, fehlerfreie Leistungen belohnt, geliebt und anerkannt zu werden. Wie soll man es dann denn als erwachsener Mann verstehen, für unzulängliche Tanzleistungen von seiner Frau geschätzt oder sogar geliebt zu werden – geschweige denn, neben dieser Frau nach einem verpatzten Tanzabend noch erhobenen Hauptes im Bad die Zähne putzen zu können, während einen das Gesicht der Frau vom Nachbarwaschbecken in Gewinnermanier über den Spiegel angrinst?
Und genau hier zeigt sich dann wohl ein elementarer Unterschied zwischen Mann und Frau mit der Konsequenz, dass sich wohl Männer wenig gut vorstellen können, für ihre legasthenischen Tanzkapriolen dennoch geliebt zu werden – Frauen aber können das, erkennen sie nur hinter dem Tanzbemühen des Mannes den Wille zu einer neuen Gemeinsamkeit, zu einem Bemühen in der Paarsache, dem Respekt vor den Wünschen der Frau oder einfach nur den humorvollen, lockeren Umgang des Mannes mit seiner aktuellen Unbedarftheit und seinem Streben nach Verbesserung.
Was ist das Ganzheitliche an dieser Betrachtung?
Es ist eher das Versäumnis einer ganzheitlichen Erfahrung, dem sich Paare aussetzen, wenn sie es nicht schaffen, als Paar in die Tanzwelt einzutauchen. Wenn ich mal das Wort Ganzheitlichkeit ganz pragmatisch bemühen darf, so empfinde ich persönlich im Tanzen (in diesem Fall im Paartanz) das Zusammenkommen so vieler, unterschiedlicher Phänomene wie wohl bei kaum einer anderen Aktivität – um nur mal die offensichtlichsten zu nennen: Bewegung / Struktur / Rhythmik / Takt / Melodie / Lichteinflüsse / Haltung / Körperspannung / Atmung / Berühren / Nähe / Energie / Geruch / Synchronität / Präsenz / Gemeinsamkeit der Komplementäre: Frau & Mann / etc.
Vielleicht zeigt sich im Tanzen mit am Deutlichsten, wie sehr das stimmige Mit- und Nebeneinander dieser vielen Ganzheitlichkeitsphänomene – insbesondere das Gleichgewicht und die erlebte Einheit zwischen den Tanzpartnern – mit einer tiefempfundenen Harmonie zu tun haben. Vielleicht ist dieser Harmoniezustand ein fest in uns verankertes Empfinden, das wir insbesondere beim Tanzen mit unserem Partner erspüren dürfen – vorausgesetzt: die Frauen nörgeln nicht rum und die Männer trauen sich zum Tanzen und machen nicht auf Wassergymnastik… 😉
Gregor Pchalek